Symphonie für die Sinne: Was eigentlich für den 18. März geplant war

So sollte es aussehen: unser Festspiel-Törtchen.

Klassische Klavierstücke in der Backstube, multimedialer Beifall für das Bäckerhandwerk, in der Nase ein Hauch von frisch Gebackenem und als Ouvertüre unser speziell für diesen Tag entwickeltes Festspiel-Törtchen: Es sollte das wohl außergewöhnlichste und sinnlichste Konzert des Festspielfrühlings Rügen werden. Aber dann kam alles anders.

Im vergangenen Sommer, mitten im Trubel der Hochsaison, erreichte uns die Zusage der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: Unsere Backstube wird zum „Unerhörten Ort“ des Festspielfrühlings Rügen 2020! Für einen Tag würde sich das Herz unseres Handwerkbetriebs, unsere große, moderne Backstube mit bodentiefen Fenstern und acht Meter hohen Decken, in einen Konzertsaal verwandeln.

Voller Vorfreude fragten wir uns: Wie wird das wohl, wenn nachmittags ein wohltemperiertes Klavier an genau jenem Ort erklingt, an dem wir nur wenige Stunden vorher noch Teig geknetet und frisch gebackenes Brot aus dem Ofen geholt haben? Wie wird das von einem Publikum aufgenommen, das klassische Musik schätzt – und welches Publikum wird unser „Unerhörter Ort“ überhaupt anziehen? Aber auch: Wie erleben unsere MitarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz, wenn dieser zu einem außergewöhnlichen Veranstaltungsort wird?

Den Impuls, das Konzept eines Konzertsaals einmal anders zu denken, gab Bäckermeister Nils Peters, selbst begeisterter Besucher des Festspielfrühlings. Er fragte sich irgendwann: Warum werden als „ungewöhnliche Veranstaltungsorte“ eigentlich immer Ruinen und leerstehende Gebäude ausgewählt? Wie wäre es, wenn man statt dessen einen Ort bespielt, an dem noch Leben ist – wie zum Beispiel unsere Backstube?

Wie ein guter Sauerteig braucht auch eine gute Idee eine gewisse Reifezeit

Die Idee und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten reizten auch die kreativen Köpfe der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.

„Jeder Raum hat einen völlig individuellen Klang, der ihn einzigartig macht, und diesen Klang wollen wir entdecken und zur Entfaltung bringen“, sagt Dr. Markus Fein, der als Intendant der Festspiele das Konzept der „Unerhörten Orte“ entwickelt hat, um das Interesse und die Begeisterung der Menschen für ihre direkte Umgebung zu wecken.

„Viele „Unerhörte Orte“ sind Werkhallen, die nicht für akustische Feinheiten wie ein Klassikkonzert erbaut wurden“, sagt er. „Gleichwohl bringen solche Orte oft unerwartete Qualitäten mit sich.“

Mehrmals waren die Veranstaltungsprofis der Festspiele bei uns in der Backstube. Nachdem die erste Inspektion samt Klatschtest positiv verlaufen war, kam das Team mit allerlei Geräten wieder, um die Akustik in unserer Backstube ganz genau auszumessen. Ein hochspannender Prozess, den wir, soweit es uns möglich war, unterstützten und ansonsten mit Neugier verfolgten.

Dirigentenschwung aus Zucker, von Hand gezogen
Eine ganze Nacht lang begleitete ein Filmteam unsere Arbeit in der Backstube

Die Inszenierung, die die Festspiele für den 18. März in unserer Backstube entwickelten, sollte jedoch mehr werden als ein reines Klassikkonzert. Die Veranstalter wollten die Eigenschaften dieses ungewöhnlichen Veranstaltungsortes für alle Sinne erlebbar machen und entwickelten ein genau auf unsere Backstube zugeschnittenes Programm.

Den musikalischen Teil sollte der chilenische Pianist Jacques Ammon bestreiten: Er würde die Gäste mitnehmen auf eine musikalische Reise, die sie aus den Gefilden der klassischen Musik zum Tango und Jazz führt und dabei den Takt angibt für eine multimediale Choreographie.

Die Filmsequenzen dafür entstanden während eines Arbeitstages samt Nachtschicht in unserer Backstube – was das Filmteam übrigens so toll machte, dass selbst unsere zurückhaltenden KollegInnen im Laufe des Drehs ihre Kamerascheu verloren.

Eingebettet in die moderne Architektur und Emotionalität unserer Backstube, sollten die Klavierstücke sich mit den Filmsequenzen und noch verbleibenden Gerüchen, etwa nach frisch gebackenen Brötchen, würzigem Brot, nach Butter, Mehl und Zucker, vereinen und den Herzschlag des Veranstaltungsortes – unser Handwerk – spürbar werden lassen.

Wir haben sie bereits verkostet - und freuen uns schon darauf, auch Sie in den Genuss unserer Festspiel-Törtchen kommen zu lassen!
Eine Symphonie für alle Sinne: als Ouvertüre ein Festspieltörtchen

Um das sinnliche Konzerterlebnis abzurunden, haben wir ein Festspieltörtchen entwickelt, das unsere Café- und Konzertgäste exklusiv am Tag der Veranstaltung hätten probieren können: ein zartes Petit Fours mit fruchtig-frischer Maracujamousse, auf dem eine aus Zucker gezogene Festspielschleife thront. Ein Genuss, der auch die Gaumen unserer Gäste zum Klingen bringen würde – wir haben es ausprobiert.

In der Woche vor dem Konzert war schließlich alles vorbereitet und unsere Vorfreude und Spannung auf einem Höhepunkt angelangt.

Und dann kam der Tag, an dem der Westwind mit bis zu 11 Windstärken über unsere Insel stürmte, und die Welle, die das Corona-Virus weltweit schlug, endgültig auch Rügen erreichte: Um die weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen, sagte das Landratsamt alle Veranstaltungen des Festspielfrühlings Rügen 2020 ab. Eine sicherlich schwierige, aber richtige Entscheidung, für die wir volles Verständnis haben.

Unser Mitgefühl gilt an dieser Stelle den Künstlern des Festspielfrühlings und allen Menschen, die in den letzten Monaten diese wunderbaren Veranstaltungen mit viel Herzblut vorbereitet haben.

Wir gehen fest davon aus, dass unsere Backstube zum nächstmöglichen Termin, wenn der Sturm sich gelegt hat, doch noch in Perfektion erklingen wird – und freuen uns schon jetzt darauf.

Bleiben Sie bis dahin gesund!